Sprachraum Musik

Ein Projekt von Marcel Muecke
Hochschule Düsseldorf
mit Prof.in Anja Vormann

Was ist eigentlich Musik? An dieser Frage forschen Musiker und Wissenschaftlerinnen schon lange. Und doch ist die Antwort ungefähr so eindeutig wie die, was denn Kunst oder Design sei oder wo die Grenze dazwischen verlaufe. Losgelöst von den Fragestellungen rund um Grenzen, Rechtfertigung, Daseinsberechtigung etc. der Musik kann von ihr allerdings ein Aspekt recht gewiss behauptet werden: Dass sie als Sprache fungiert.

Hierbei ist Musik viel universeller als die Wortsprache. Während bei letzterer je nach Kulturkreis Schriftsysteme, Klang und Wortstämme so stark variieren, dass Angehörige dieser Kreise sich nicht allein durch die gesprochene oder geschriebene Sprache auszutauschen vermögen, basiert ein Großteil der heute komponierten Musik weltweit auf demselben Notensystem (quasi das Äquivalent zur geschriebenen Wortsprache) mit denselben 12 Tönen. Musiker*innen aus verschiedenen Kulturen können also in der Regel Notenblätter anderer Kulturen problemlos lesen. Die Grundlage für dieses System wiederum bieten physikalische Naturgesetze, die allumfassend sind und nicht so sehr der Interpretation von Menschen unterliegen wie beispielsweise vom Menschen erzeugte Sprachlaute. Musik ist dabei im Grundsatz eher Trägerin von Bildern und Emotionen, im Gegensatz zur diskursiven Wortsprache.

Wo kommen also die gefühlt enormen Unterschiede verschiedener Genres und Kulturen her, wenn Musik doch so universell ist? Meiner Auffassung nach kann Musik als eine universelle Sprache betrachtet werden und die verschiedenen Stile als deren Dialekte. Ein Dialekt unterscheidet sich von seiner Stammsprache nur in Feinheiten (im Vergleich zum Unterschied zu anderen Sprachen anderer Stämme). Auch wenn die grundsätzliche Fähigkeit vorhanden ist, Dialekte der eigenen Sprache zu verstehen, bedeutet das nicht, dass jede:r diese Dialekte reproduzieren oder ihre Nuancen verstehen und interpretieren kann.

So öffnet Musik Räume der Begegnung und Annäherung. Das eindrucksvollste Beispiel ist für mich die erstmalige Begegnung mit Lalo bei einer offenen Bluessession. Der gebürtige Mexikaner kam gerade frisch nach Deutschland, konnte kein Wort Deutsch und spärlich Englisch. Als wir beide mit drei weiteren Musikern auf die Bühne gegangen sind (er hatte sein Akkordeon dabei), bedarf es nur eines kurzen Zurufs, in welcher Tonart wir spielen wollen und ohne weitere Absprachen hatten wir gemeinsam musiziert. Fünf Musiker, die sich zuvor noch nie gesehen, miteinander gesprochen, geschweige denn miteinander musiziert haben.

Aktuelle Forschung legt sogar nahe, dass die musikalischen Unterschiede zwischen Kulturen kleiner sind als die innerhalb von Kulturen mit ihren unzähligen Stilen und Genres.

Unser »Moll« ist nur unsere Perspektive

Wer in der heutigen westlichen Popmusik von Tonarten spricht, bezieht sich in der Regel auf »Dur« und »Moll«. Dass dies so kam, war eine Entwicklung über Jahrhunderte. Dur und Moll sind eigentlich nur zwei von sieben Kirchentonarten, in denen klassische Werke insbesondere in Europa komponiert wurden. Der Klangcharakter ergibt sich dabei primär dadurch, dass – vereinfacht gesagt – von den 12 zur Verfügung stehenden Tönen nur sieben in von der Tonart definierten Abständen verwendet werden.

Das Moll, das heute so verbreitet und weitläufig bekannt ist, ist neben dieser zeitlichen Komponente auch nur eine Perspektive von unserem geographischen und kulturellen Standpunkt aus. Dieses sogenannte »natürliche Moll« heißt so, da es direkt aus dieser Systematik der alten Kirchentonarten entstanden ist. Wird ein einzelner Ton dieser Leiter verschoben, so erhält man das »harmonische Moll«, welches vor allem im osteuropäischen und arabischen Raum gebräuchlich ist und war.

Die klanglichen Unterschiede von Musik beruhen allerdings nicht nur darauf, welche sieben Töne Verwendung finden, sondern auch, in welchem Bezug sie zueinander stehen. Wird die harmonische Molltonleiter beispielsweise nicht vom ersten Ton aus gespielt, sondern vom fünften, resultiert daraus eine ganz andere Tonart: phrygisch-dominant, oder auf jiddisch: Freygish.

Diese Tonart kommt primär im Klezmer, der Musik des osteuropäischen Judentums, zum Einsatz. Wird hier wiederum ein einzelner Ton verschoben, erhält man das Moll der Sinti und Roma. Diese Ähnlichkeit liegt vermutlich daran, dass Klezmorim (also Klezmer-Musiker:innen) oft gemeinsam mit Sinti und Roma gereist und dabei auch musiziert haben.

Verschiebungen von Tönen und Tonleitern können also geographische und kulturelle Entwicklungen abbilden, in einer Weise, die universell verstanden werden kann. Moderne Stilrichtungen wie die Black American Music (BAM) zeigen dabei, dass die Kombination und das Zusammentreffen dieser Stile eine enorme Bereicherung sein kann.

Projekt

In meinem Projekt möchte ich Harmonie und Dissonanz der verschiedenen Skalen hörbar machen – wobei Dissonanz der Musik nicht mit Negativem oder Unschönen gleichgesetzt werden kann. Vielmehr ist es nicht selten gerade die Reibung von Tönen, die ein Stück vielfältig und hörenswert macht.

Die Umsetzung erfolgt in Form einer Live-Performance, die auf Gesang basiert und durch Instrumente sowie Tanz erweitert wird. Dabei sind Hörer:innen dazu eingeladen, in die Musik einzusteigen – sei es durch Fühlen und Vorstellen oder durch aktives Partizipieren.